Fachartikel FlowBY

„FlowBy“ – Bayern testet das Schreiben neu

Mit dem Modellprojekt „FlowBy: Von der bayerischen Druckschrift zur flüssigen, individuellen Handschrift“ startet in Bayern ein innovativer Versuch an 43 ausgewählten Grundschulen zur Neugestaltung des Schrifterwerbs. Medienberichte wie bei ntv.de am 13.09.2025 sprechen vom „Ende der Schreibschrift“. Tatsächlich verfolgt das Projekt jedoch ein anderes Ziel: Kinder sollen direkt von der Druckschrift zu einer teilverbundenen Handschrift wechseln ohne Umweg über zusätzliche Ausgangsschriften.

https://www.uni-regensburg.de/humanwissenschaften/grundschulpaedagogik-didaktik/forschung/flowby/index.html

(https://www.merkur.de/bayern/bayern-grundschulen-schaffen-schreibschrift-ab-radikale-bildungswende-in-zr-93933465.html)

1. Zielstellung: Zustimmung zu FlowBy

  • Mit dem Modellprojekt FlowBy will Bayern die Schreibdidaktik neu aufstellen. Ausgangsschriften, die nicht oder nur teilweise verbunden sind, gelten als schreibmotorisch effizienter und sind leichter erlernbar. Sie machen das Schreiben flüssiger und lesbarer und verhindern, dass Kinder mit Schreibproblemen in Sackgassen geraten. Vier Jahre lang haben die Schüler Zeit, mit gezielter pädagogischer Begleitung aus der Druckschrift eine individuelle Handschrift zu entwickeln. Das eröffnet auch neue Chancen für eine individuelle Förderung.
    (https://www.schreibmotorik.de/schreibpraxis/)
  • Das zweijährige Modellprojekt wird von den Universitäten Regensburg und Eichstätt wissenschaftlich begleitet. Es setzt die Ländervereinbarung der Kultusministerkonferenz (KMK) von 2024 um, in der die „aktuellen Entwicklungen im Handschreibunterricht“ erstmals verbindlich festgeschrieben wurden.
    (https://www.schreibmotorik.de/beitrag-zur-stifthaltung-3/)

Potenzial:

Mit „FlowBy“ könnte Bayern den Grundstein für eine bundesweite Neuausrichtung des Schreibunterrichts legen.

2. Kritische Betrachtung: Entwicklungsmodell

Im Projektflyer nimmt das Entwicklungsmodell breiten Raum ein. Es vermittelt den Eindruck einer klaren didaktischen Ordnung – einer Art Landkarte, die Lernschritte systematisch abbilden soll. Aus Sicht des SMN sind die zugrunde gelegten motorischen Bezugsmodelle jedoch nicht mehr zeitgemäß.

  • Neuere Erkenntnisse des motorischen Lernens werden nicht berücksichtigt
  • Ein differenzielles Verständnis von Bewegungs- und Schreiblernprozessen fehlt.

Aktuelle Forschungsergebnisse (u.a. Schöllhorn) zeigen:

„Keine Bewegung gleicht der anderen – motorisches Lernen ist ein hochgradig individueller Prozess.“

Starr strukturierte Entwicklungsmodelle können Lernprozesse hemmen. Insbesondere besteht die Gefahr, Schwierigkeiten vorschnell dem Kind zuzuschreiben („es hinkt hinterher“), anstatt die methodisch-didaktischen Rahmenbedingungen kritisch zu hinterfragen.

(https://www.schreibmotorik.de/schreibmotorikwissen/grundlagen/entwicklungschreibmotorik/)

Ein zeitgemäßes Bewegungslernen setzt auf:

  • Variabilität
  • Individuelle Lösungswege
  • Förderung von Selbstorganisation.

Kernaussage:

Kein Kind schreibt wie das andere – jedes entwickelt seinen eigenen Weg zur Handschrift.

(https://www.schreibmotorik.de/schreibenlernen/schreiblernkonzept/handlungsfelder/)

3. Kritische Betrachtung: Lehrkräfte – offene Fragen

FlowBY nennt Workshops, Vorträge und Sprechstunden als Unterstützung. Aus Sicht des SMN sind die Lehrkräfte die Schlüsselakteure des Modellprojekts.

Es bleibt jedoch unklar, wie das neue Schreiben-Lernen methodisch-didaktisch ausgestaltet wird. Die Kinder brauchen kein MEHR an Papier-Bleistift-Ubungen, sondern ein ANDERS im Lernprozess.

https://www.schreibmotorik.de/schreibenlernen/schreiblernkonzept/schreiblernkonzept-ms/

Wichtige Punkte für Lehrkräfte:

  • Fokus Individualität im Schreiblernprozess
  • Beseitigung heimlicher Lehrpläne – Schreiblehrgänge -, die den Fortschritt hemmen
  • Praxisnahe Handreichungen mit wissenschaftlich fundierten und schreibmotorisch
    begründeten Schreiblernkonzepten
  • Nutzung erfolgreicher Konzepte anderer Forschungseinrichtungen

(https://www.schreibmotorik.de/schreibenlernen/schreiblernkonzept/schreibscreening/)

Offene Fragen:

  1. Wie intensiv und praxisnah sind die angekündigten Fortbildungen?
  2. Wer entwickelt die Konzepte und auf welcher Erfahrung beruhen sie?
  3. Welche konkrete Unterstützung erhalten Lehrkräfte im Unterrichtsalltag (Hospitationen, Coaching)?
  4. Wie werden Lehrkräfte befähigt, schreibmotorisch fundiert zu unterrichten?
  5. Welche Materialien stehen bereit? Wird externe Expertise eingeholt?
    (https://www.schreibmotorik.de/)
  6. Wie wird die Qualität der Umsetzung überprüft und dokumentiert?
  7. Welche diagnostischen Instrumente können Lehrkräften nutzen (z.B. CS-Win) und wie können daraus individuelle förderdiagnostische Maßnahmen abgeleitet werden?
    (https://www.schreibmotorik.de/schreibmotorikwissen/schreibmotorikanalyse/)

Fazit:

Fachleute und Interessierte setzen große Hoffnungen in FlowBy. Das SMN hat bereits erste Anfragen erhalten. Viele Lehrkräfte fühlen sich unsicher und können Eltern derzeit kaum klare Anworten geben.  

4. Kritische Betrachtung: Klarstellungen – teilverbundendes Schreiben

NEIN: Teilverbundenes Schreiben ist nicht die abgespeckte Variante des verbundenen Schreibens
JA:       Lehrkräfte müssen für die Neugestaltung des Schrifterwerbs aus- bzw. fortgebildet werden. Für viele wird es zu einem methodisch-didaktischen Neuanfang.

DENN: Kinder brauchen handelnde Lehrerinnen und Lehrer, die den Unterricht im Schreibenlernen so verändern, dass Schreiberfolg möglich wird –  und  Kinder mit Freude am Schreiben selbst zu Katalysatoren ihres Lernprozesses im Schreiben werden.

(https://www.schreibmotorik.de/schreibenlernen/schreiblernkonzept/)

Kernidee:

Lehrkräfte müssen befähigt werden, individuelle Schreiblernprozesse gezielt zu unterstützen – auf Basis wissenschaftlich fundierter Konzepte.

5. Kritische Betrachtung: Fundstelle – kursive Buchstaben

Geneigte Buchstaben erleichtern das Schreiben. Der Flyer FlowBy zeigt ein von Hand geschriebenes Alphabet. Die Kleinbuchstaben sollten allerdings konsequent mit einem kleinen Bogen abgebildet sein. (a,d,h,i,m,n,u,)

Ausgehend von einer modifizierten KursivDruckschrift kann mit Hilfe des Lehrers ohne den Umweg über eine verbundene Ausgangsschrift eine geläufige individuelle Handschrift erworben werden.

https://www.schreibmotorik.de/schreibpraxis/handschrifterfolg/kursivebuchstaben/

Fazit:

Kursiv geschriebene Buchstaben erhöhen das Schreibtempo

6. Fazit und Ausblick

FlowBy markiert einen wichtigen Schritt in Richtung einer modernen Schreibdidaktik. Das Projekt eröffnet beträchtliche Chancen, doch bleiben zentrale Fragen offen – insbesondere in Bezug auf die Ausbildung von Lehrkräften, die methodische Umsetzung und die Qualitätssicherung. Die Häufung von Anglizismen steigert nicht die theoretische Fundierung. Entscheidend für eine nachhaltige Wirkung sind daher eine klare, praxisorientierte Strategie sowie eine transparente Kommunikation. Hier muss noch mehr erklärt werden, sowohl in Konzeptpapieren als auch im Informationsvideo.

 (https://www.schreibmotorik.de/schreibpraxis/)

Ein persönlicher Rückblick – mit Blick nach vorn

Auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Lesen und Schreiben 1995 stellten Mai, Marquardt und Quenzel interdisziplinäre Erkenntnisse aus Medizin und Bewegungswissenschaften vor. Unter dem Titel „Wie kann die Flüssigkeit von Schreibbewegungen gefördert werden?“ präsentierten sie das von Marquardt entwickelte Programmsystem CS-Win, das Schreibbewegungen sichtbar und analysierbar machte – fast wie in einem Röntgenfilm.
(https://www.schreibmotorik.de/schreibmotorikwissen/schreibmotorikanalyse/cswin/) dazu

Die Reaktionen der Tagungsteilnehmenden verdeutlichten das breite Interesse an der Frage, wie Schreibprozesse motorisch verstanden und gefördert werden können. Der damalige DGLS-Präsident Prof. Heiko Balhorn formulierte dazu:

„Dieser Blick auf Schrift, der vom Können ausgeht und nicht Defizite verrechnet, hat inzwischen Furore gemacht. […] Die Plausibilität des Gedankens, aus ausgeschriebenen Handschriften die Prinzipien der Konstruktion einer verbundenen Schrift zu gewinnen, ist so groß, dass man sich fragt, welche Kraft es denn sein mag, die die Realisation bisher verhindert hat.“

Drei Jahrzehnte später kann diese damals formulierte Vision mit dem Modellprojekt „FlowBy“  nun umgesetzt werden. 

Rückblickend markierte die Tagung von 1995 also nicht nur einen fachgeschichtlichen Meilenstein, sondern den Ausgangspunkt eines langen Weges – hin zu einem Schreibenlernen, das Forschung, Praxis und interdisziplinären Dialog miteinander verbindet.  

Das SMN München steht seither für diesen Ansatz: für kontinuierliche Forschung, Kooperation und Austausch.
(https://www.schreibmotorik.de/ueberuns/

Nach oben